Das 97. Capitel.
Wer glücklich über Land reissen will, soll / ehe er zu Pferde sitzet / erst vors Pferd treten / und mit dem Fusse 3. Creutze gegen das Pferd machen.

[419] Dieses sollen Liebhaber des Creutzes Christi heissen; aber Feinde des Creutzes Christi mögen sie seyn, weil sie in größten Mißbrauch das Creutz vors Pferd machen. Und ob auch gleich manche Heuchler diese That mit allerhand Schein-Gründen zu beschönigen suchen, so ists und bleibets dennoch ein Mißbrauch des Creutzes. Denn es hat ja Christus die Pferde nicht am Creutze erlöset, hat solches auch nicht nöthig gehabt, weil nichts in der Welt eine Erlösung bedurfft hat, als nur allein der sündige Mensch. Und ob zwar auch die Creaturen seuffzen, und möchten gern frey seyn von dem Sündendienst der Menschen, weil sie wider ihren Willen unterworffen sind; so ist doch dabey keiner Creutzmachung nöthig, sondern der Mensch alleine ist schuld an allem Ubel. Und wenn ein solcher abergläubischer Reiter mit seinem Fuß 3. Creutze gegen sein Pferd macht, so stehe ich in Zweiffel, ob ein solcher Hanßwurst auch wohl selbigen gantzen Morgen noch ein einigmahl an den gedacht hat, der ihn (und nicht sein Pferd) am Stamme des Creutzes mit viel 1000. Schmertzen und seuffzen erlöset hat. Ich bin auch der Meynung, daß es würde gleiche Krafft haben, so er das Zeichen eines Galgens vors Pferd machte, und dieses vermuthe ich nicht unbillig daher: Es hat in hiesiger Stadt, nicht weit von meinem Hause, aufn Korn-Marckte, die Justiz oder Soldaten-Galgen seine Stelle gehabt, wie dieser noch stande,[420] habe ich öffters mit meinen Augen gesehen, daß die Altenburger Kornbauern mit grosser Sorgfalt sich alle Marcktage bemühet haben, ihren Karn mit Korn gerade unter die Justiz zu stellen, in der abergläubischen Meynung, daß sie auf dieser Stelle ihr Korn viel eher und theurer verkauffen würden, als an einem andern Ort, ja biß dato zancken sie sich noch, und fähret einer dem andern mit allem Fleiß vor, daß er erst will auf die Stelle kommen, wo vor einigen Jahren die Justiz ist umgefallen. Ob nun dieses gleich ebenfalls auch eine abergläubische Thorheit ist, so siehet man doch daraus so viel / daß diese Korn-Bauern mit der Galgen-Stelle eben so viel zu erlangen vermeynen, als der Reiter mit seinen 3. Creutz-Zeichen. Beyde wollen dadurch glücklich seyn; beyde aber versündigen sich, und gewinnen nichts damit, als GOttes Zorn, auch wohl zeitliche und ewige Straffe darzu.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 419-421.
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